Tour de Suisse romande

21. Oktober 2017

Tour de Suisse aktuell in Lausanne & Genf

Welsche Lehmschaffende: CArPE und Terrabloc – Lehmbau und partizipative Prozesse

  • Besichtigung Lehmstein-Mauerwerk, Lehm-Kalk-Putz
  • Besichtigung Genossenschaft Soubeyran: Lehm-Stroh-Elemente, Lehmsteine, Lehmbauplatten, Lehmputze
  • Firmenpräsentation Terrabloc: Lehmsteine
  • Besichtigung Abenteuerspielplatz (im Bau): Holz-Stroh-Bau, Lehmschüttungen, Lehmputze
  • Besichtigung ECO 46: Holz-Lehm-Stroh-Bau, Stampflehmwand, Lehmputze

Bericht zur Exkursion

 

Ein Grossteil der Teilnehmer dieser Lehmbau-Exkursion reiste aus der Deutschschweiz an und betrat nahezu Neuland. Aber auch ein Wiedersehen mit Mitgliedern in der Westschweiz stand an. Einige hatten wir im Mai an der «Art de Bâtir» in Genf getroffen. Allem voran unser jüngstes Firmenmitglied aus der Region, Terrabloc.

Genf

So führte uns Rodrigo Fernandez, Mitbegründer der Firma Terrabloc, souverän durch den Vormittag in Genf bis zur Firmenbesichtigung in Gland.
Nur ein paar Schritte vom Genfer Bahnhof entfernt zeigte er uns die energetische Ertüchtigung einer Gebäudenordwand in dem sehr charmanten Areal der Genossenschaft »15-15 bis des gares«. Die nichttragende hinterlüftete Aussenwandschale aus stabilisierten Lehmsteinen ist vor eine aufgedoppelte Dämmung gehängt und darüber mit einer Lehm-Kalk-Putzfassade weitergeführt. Die Nuancen der Farbgebung entstanden dabei durch den unterschiedlichen Anteil an Lehm darin. Ein gleichsam unregelmässiges Spiel wie die ursprüngliche Fassade wurde zusätzlich durch zufällig entstandene Ausblühungen der Lehmsteine in der Lagerphase erzielt. Durch den 5% Zementanteil als maximaler Anteil zur Stabilisierung leistet ein robuster, wasserresistenter Lehmstein im Aussenbereich also gute Dienste.

Ein paar Tramstationen weiter bekamen wir einen lebhaften Eindruck in den 6-geschossigen Wohnungsbau Soubeyran. Die Architekten atba SA in Kooperation mit CArPE (Collectif d'Architecture Participative + Écologique) realisierten in einem engen partizipativen Prozess unter der Moderation von Stephan Fuchs und Oliver Krumm diesen Beton-Skelettbau mit vorgefertigten und bauseitigen Holz-Stroh-Lehm-Elementen.
In einem offenen Komitee waren über 4 1/2 Jahre durchschnittlich 15 spätere Bewohner beteiligt. Von Anfang an sollte der Prozess offen, also ohne Vorbestimmungen etwa durch einen Wettbewerb sein. Einzig der höchst mögliche Anteil an Ökologie und Partizipation war Ziel. So führte die Mitbestimmung zu vielen gemeinnützigen Aspekten, die sich vor allem im Erdgeschoss und an der Rue interieure in der 3. Etage räumlich als Gemeinschaftsraum, Jokerzimmer, Waschküche, etc. und entlang der erschliessenden Korridore, Treppen und dem Laubengang als belebte Zirkulationsfläche ausdrücken. Manche Beschränkung im Budget wurde sodann auch durch die aktive Beteiligung der Bewohner in die Produktion etwa bei den Aussenwand-Elementen und kluger Priorisierung kompensiert. Ein Eingang, ein Lift, Trenn- und Komposttoilette und Unterstützung lokaler Handwerker trugen ausserdem zur nachhaltigen Bilanz bei. So werden Kompromisse durch aktive Mitwirkung auch langfristig akzeptiert.
Pragmatisch gingen die Architekten aber im Sinne der ökonomischen und technischen Anforderungen mit der Materialwahl um, etwa bei der Rohbetonqualität, der die Holzböden im ganzen Haus querfinanzierte, oder dem Innenausbau mit Gipsfaserplatten neben den Lehmsteinmauern von Terrabloc, Steinwolldämmung als Brandriegel zwischen den Wohnungen oder Zellulosedämmung an den Stirnwänden im Kontrast zur Schreinerküche.
Interessant waren insbesondere die Aussenwandmodule (= 1 Zimmer), die in Kleinstrohballendicke auf horizontale Weise im Untergeschoss des Hause von den instruirten Bewohnern vorfabriziert (Ortslehm, gestampft) und an der Nordseite mit dem Kran versetzt werden konnten. Auf der Südseite hingegen wurde die Wand mit 2-facher Strohballenstärke wegen des Balkons an Ort und Stelle vertikal gefertigt und mit Lehmbauplatten beplankt.
Überzeugt von der formidablen Gesamtleistung und mit dem Wunsch nach mehr zogen die Lehmbegeisterten Richtung Bahnhof. Aber nicht ohne noch auf der leider derzeit brachliegenden Baustelle von Terrabloc Halt zu machen, dem Schulrestaurant im Park Geisendorf. Dort wurden im Juli und August aus dem Aushub Lehmsteine von Terrabloc hergestellt. Der Lehm der Baugrube war von der Zusammensetzung bestens geeignet und konnte in seiner Körnung für die Steine vor Ort optimiert werden. Leider können sie wegen der baldigen Frostgefahr erst im März wieder vermauert werden.
Im Kanton Genf herrscht grosses Interesse den Aushub nicht teuer über die Grenzen schaffen zu müssen. Insofern sind die Kompetenzen der Lehmsteinproduzenten aus Gland mit ihrem mobilen Maschinenpark zur Aufbereitung des Aushubs für die ideale Siebkurve samt stabilisierender Zementzugabe bei aller Begeisterung für den reinen Lehm aussichtsreich. Die Einbeziehung geologischer Daten und von Laboranalysen verschafft verlässliche Sicherheit im Baugeschehen. Der Aufwand für die Installation der Lehmsteinproduktion auf die Baustelle vermeidet somit den unnötigen Transport von häufig einfach verfügbarem Lehm, ist aber erst ab 400m2 Wand rentabel.

Gland

Einen noch tieferen Einblick in die Produktion von Terrabloc erhielten die interessierten Mitglieder dann am Produktionsstandort in Gland. Aber zuerst wurde ein reichhaltiges und feinstes Picknick kredenzt, wodurch die Energie zur Aufnahme von Kontakt und Information wieder beträchtlich stieg.

Neben dem Anblick der Maschinen zur Aufbereitung bekamen wir eine Vorführung der Produktion an der Lehmsteinpresse und konnten selbst Steine produzieren. Sie funktioniert mit einem augeklügelten Mechanismen für die Zugabe von Wasser (Düse) und Zement (Tempomat). Je nach Plastizität (Tonanteil) des Aushubs muss ggf. Kies und Sand zugegeben werden. Ausschlaggebend für das Pressverfahren ist dabei der Proktortest, der die ideale Feuchte für die grösste Trockendichte bestimmt. Das handwerkliche Verfahren mit den soliden Maschinen erfordert also wie so oft beim Lehm viel Erfahrung. Das gilt vor allem für die Druckfestigkeit, die im Labor noch getestet wird, allerdings zeitversetzt Ergebnisse liefert. Im Hinblick auf die globalen Herausforderungen zu energiearmen Bauen und den vielfachen Normen vermag auch bei grundsätzlich puristischer Haltung dieser kompromissbereite Ansatz überzeugen. Die Frage lautet also wie Lehm mehr Verbreitung findet. Die Antwort kann nicht pauschal sein. Wenn man betrachtet, dass sich die Dampfaufnahme bei geringer Stabilisierung nur gering verändert, allerdings der Lehm dann nicht mehr Lehm ist. Er ist  dann allenfalls ein künstlich entstandenes, durch Zement und damit mit Energie angereicherter Mineralstein, der aber als Zuschlagsmaterial in der eigenen Produktionskette eingebunden werden kann.

Lausanne

Die Gruppe setzte die Fachreise fort und landete mit Elsa Couderay und Marco Sonderegger in Lausanne-Malley auf einem Abenteuerspielplatz. Ein weiteres Projekt von CArPE, ein ökologischer, diffusionsoffenener Low-Tech-Holzbau mit Ortsmaterialien. Konzipiert wie eine Werkstattkiste Richtung Süden ausgerichtet wurden Strohballen im Boden liegend (35cm), der Wand (50cm) und in der Decke (35cm) und Lehmschüttungen als Speichermasse und Feuchteregulierung in den Zwischenwänden hinter pragmatischen Dreischichtplatten (Gemeinschaftsraum) oder Lehmbauplatten (Büro) versteckt, sowie 20cm im Boden unter dem Nut-Feder-Holzboden aus lokalem Weisstannenholz über Buchenholzstruktur. Diese Baustelle erforderte durch die Einbindung von 13-16-jährigen nicht nur ein soziokulturelles, kreatives Konzept, sondern auch eine Planung mit einfacher Technik und wenig Unfallrisiko, wozu sich Lehm und Stroh bestens eignen.
Die Kniffe wie Vordach und Aufständerung bzw. Unterlüftung des Bodens, überbrückt durch die Terrasse vor der Fensterfront, gewährleisten konstruktiven Feuchtigkeitsschutz. Ergänzt wird das Gebäude durch die Komposttoilette (Klärung vor Ort) oder auch die Dachbegrünung auf epidemisch-synthetischen Kautschuk, Geotextil, Schilf und Lehm, die saisonal bewachsen werden. Das grundsätzlich auf Passivstandard ausgelegte Gebäude wird vorsorglich noch mit kleinem Ofen und Vorinstallation für wärmeverteilendem Ventilator ausgerüstet. Natürlich werden die Setzungen auch mitgeplant und die Lücken mit Holzfaserdämmung ergänzt. Als Finish wird im Büroraum Ende Jahr weisser Lehm mit gelbem Sand verputzt und an den Aussenwänden auch noch Vogelhäuschen der Kinder platziert – ein adäquates Kunst-am-Bau-Projekt.

Zum Schluss konnten all die Ausdauernden Zuhörer noch das wegweisende Projekt ECO 46 aus dem Jahr 2011 bestaunen. Auch für die Stadt Lausanne und ihre Stadtgärtnerei erstellt, kann CArPE hier eine überzeugende ökologische Bilanz belegen. Und alles nur wegen einer Strohhütte im Park, die vielfach Aufmerksamkeit auslöste und diesen Generaltest für eine Holz-Stroh-Lehm-Gebäude nach sich zog. So verantwortete erstmals eine Gemeinde den Auftrag für ein Strohgebäude. Hier wurden Mitarbeiter des Auftraggebers (Maurer, Schreiner, Gärtner…) in die Baustelle integriert. Eine Ausstrahlung auf kontaktierte konventionelle Baubetriebe, insbesondere ihren Lernenden lässt noch auf sich warten. Diese hinken dem zukunftsorientierten Zeitgeist im Bauen wohl noch hinterher.
Das partizipative Vermittlungskonzept funktionierte über einen Tag Ausbildung gegen vier Tage Arbeitseinsatz. Konstruktiv handelt es sich um einen 80cm breite tragende Strohballenwände mit Brettstapeldecke auf Ringanker und Buchenholzträger und einer Stampflehmwand.
Auch hier wurden die Setzungen des Strohs voraus gemimt, die Senkung entsprechend der Last der Wände, Ecken und Fenstersituationen geplant (15-18cm, EG mehr als OG), dann zwischendurch mit Wasserbelastung zur Justierung nachgeholfen.
Die Stampflehmwand wird nur im kurzen Stück von der Decke belastet, auf der zentralen Stampflehmwand hingegen liegt das Dach auf. Die Holzrahmenfenster sind verschraubt, ebenso wie die Ringträger an die Holzdecke. Es gibt eine Trockentoilette, die Lüftungsanlage wird durch einen CO2-Sonde gesteuert wie auch der Sonnenschutz durch Sonnenstoren geregelt.
Studenten der EPF Lausanne/ INSA Strassburg begleiteten dieses Ökoprojekt wissenschaftlich und fanden für das diffusionsoffen aufgebaute ECO 46 bereits in der Simulation eine wesentlich bessere Bilanz des 60-jährigen Lebenszyklus als für Minergie P. Die SIA 381/1 -Norm-Werte liegen überraschend dazwischen. Anhand der Messungen während der Benutzung schnitt das Bauwerk nach drei Jahren dann sogar noch 4x besser als in der Vorberechnung der Energiebilanz ab. Beim Abbruch kann Stroh auch noch verbrannt werden und erzeugt dabei mehr Energie als der Verbrauch des Hauses in der Gebrauchsphase.
Dies zeigt ein weiteres Mal, dass die Ökobilanz von Konstruktionen mit Stroh und Lehm (noch) viel besser ist, als es in den Vergleichsrechnungen abgebildet wird. So schneidet der einfache Wandaufbau letzten Endes ein Vielfaches besser ab als eine herkömmliche Minergie-P Konstruktion.
Am Ende standen SFr 950 /m3 als Kosten bei einer rekordverdächtigen Ökobilanz unter dem Strich. Das eindrucksvolle Gebäude und diese Argumente sollten für viel Nachahmung sorgen. In der Zwischenzeit staunen wir weiter und gehen auf Entdeckungsreise.

Wir danken den Referenten Rodrigo, Oliver, Elsa und Marco herzlich für die ausführlichen Erläuterungen und Einblicke in ihre inspirierenden Projekte und hoffen, es folgen noch viele solche Leuchttürme!

20.11.2017, Christiane Löffler

Bericht Tour de Suisse romande

Einladung Tour de Suisse romande

Lehmvokabular Deutsch-Französisch/ Français-Allemand
Broschüre zum doppelseitigen Ausdruck basierend auf der Fachwortliste des Dachverband Lehm.
 

Veranstalter

IG Lehm Fachverband Schweiz
&
Terrabloc
&
CArPE
 
Führungen:
Rodrigo Fernandez
Oliver Krumm
Elsa Cauderay
Marco Sonderegger
 

Ort

Genf GE + Gland + Lausanne VD

Beteiligte Firmen
 
Weitere Beteiligte:
 

CArPE, Collectif d'Architecture Participative + Écologique, Lausanne